Nachgefragt: Odyssee
Am 4. Mai 2010 hat die „Odyssee“ nach Homer im kleinen theater Premiere. Wir führten ein Interview mit dem Regisseur Markus Steinwender.
Die Odyssee, eines der beiden Hauptwerke Homers, stellt einen DER Klassiker der Weltliteratur dar. Ihr bezeichnet eure neue Produktion als „Odyssee nach Homer“. Worin bestehen nun die Unterschiede und die Parallelen zum Text und der Motivwelt Homers?
[singlepic id=58 w=240 h=240 float=right]Markus Steinwender: Eigentlich heißt der Abend einfach „Odyssee“. Das „nach Homer“ soll einerseits zeigen, dass wir als Basis dafür den Homerischen Text verwendet haben und nicht z.B. James Joyce, und andererseits, dass wir dabei aber frei mit dem Stoff umgehen. Es war von Anfang an klar, dass es keine „gespielte Nacherzählung“ werden soll, sondern dass wir uns Motive und Figuren aus dem Epos destillieren. Das Prinzip der Arbeit war, dass sich alle mit dem Stoff beschäftigen sollen und das Stück erst im Probenprozess entsteht. Dabei hat sich auch ergeben, dass wir Odysseus selber gar nicht auf der Bühne haben wollten, weil wir begannen, uns auf die in der Heimat Zurückgebliebenen zu konzentrieren, dazu auf die Götter, die ja so was wie „Schicksal“ sind, und auf die Archetypen wie den Freier und die Geliebte. Was in der Heimat ankommt sind nur mehr Gerüchte von einem Odysseus, der mal hier, mal dort gesehen wird, von dem man gar nicht weiß, ob er überhaupt noch lebt. Dennoch bleiben unsere Figuren am Strand und warten, aus verschiedenen Gründen und bleiben so von Odysseus und der Odyssee gefangen. Was sie dabei verbindet ist eine unstillbare Sehnsucht.
Der Begriff Odyssee wird als Synonym für Irrfahrt gebraucht, der Name Odysseus wird einerseits mit List, Neugierde und Einfallsreichtum und andererseits mit dem Ausgeliefertsein gegenüber den Naturgewalten und den Göttern gleichgesetzt. Wie greift ihr diese Elemente in eurem Stück auf?
Markus Steinwender: Gerade jetzt, im Zusammenhang mit der Vulkanaschewolke und der griechischen Finanzkrise ist ja der Begriff „Odyssee“ wieder überall zu lesen und zu hören. Manchmal ein bisschen leichtfertig, denn nicht jeder Umweg ist eine Odyssee. Was die Odyssee des Odysseus ausmacht, ist ja, dass er sich völlig verliert dabei, dass er erst ein „Niemand“ werden muss, um Heim kehren zu können. Erst als alles Heldenhafte, ja fast menschliche, an ihm weg ist, findet er zurück. Und wird in der Heimat ja auch nicht mehr erkannt, außer von einem alten Hund und einer alten Magd, die ihn aufgezogen hat. Da uns aber mehr interessiert hat, was zu Hause passiert, was das Warten auf den seit 20 Jahren wegbleibenden Ehemann, auf den noch nie gesehenen Vater, bei den Wartenden auslöst, liegt unser Fokus weniger auf den „klassischen“ Attributen des Odysseus, sondern bei dessen Wirkung. Dadurch, dass aber immer wieder Geschichten von ihm ankommen – wie es auch bei Homer erzählt wird, wo Penelope sogar dafür gescholten wird, jedem Bettler mit einer Geschichte über Odysseus zu empfangen – kann niemand abschließen oder ein anderes Leben anfangen, die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
[singlepic id=59 w=240 h=240 float=right]Das Warten der Zurückgebliebenen stellt das zentrale Motiv eures Stücks dar. Welche anderen Gesichtspunkte werden noch beleuchtet?
Markus Steinwender: Sehnsucht. Liebe. Hass. Trauer. Fanatismus. Das ist sicher drin, aber ich denke, ein so großer Stoff braucht eine Konzentration auf eine erzählbare Größe, eine Reduktion auf einen Aspekt bzw. Blickwinkel. Die „Odyssee“ wurde ja gerade bei Ruhr2010 mit sechs neuen Stücken und einem verbindenden Projekt theatral beleuchtet und jedes dieser Stücke hat – wie wir – einen bestimmten Aspekt, einen bestimmten Blickwinkel gewählt. Der Stoff gibt so viel her, darum ist er ja auch noch bis heute relevant. Je länger wir uns damit beschäftigt haben, desto mehr haben wir das auch gemerkt.
Im Jahr 2009 präsentierte MAZAB „Second Life – So real, wie du dich fühlst (1. Mose 1.2)“ im kleinen theater. Inwiefern steht die Thematik der „Odyssee“ mit eurem Vorjahresstück in Zusammenhang?
Markus Steinwender: Die erste Arbeitsphase von MAZAB ist als „Die MAZAB Expeditionen“ übertitelt und „Second Life – So real…“ war dabei ein wunderbare Expedition in die virtuelle Welt und auch in die Welt der (christlichen) Religion und der Frage, was ist Gott und wer hat uns erschaffen und was ist, wenn wir eigentlich nur eine Simulation sind. Es war ein bereits aufgeführtes Stück, wir haben da die österreichische Erstaufführung gemacht. Also Neuland, aber mit doppeltem Boden. Nun beschäftigt sich die „Odyssee“ mit einer anderen Reise, und ist für uns dabei eine Expedition. Wir wollten diesen Abend diesmal komplett selber entwickeln, erstens weil uns das alle noch mehr herausfordert und zweitens weil ich glaube, dass das auch eine Stärke des freien Theaters sein kann, dass man dadurch eine sehr eigene Handschrift entwickeln kann. Natürlich ist die Möglichkeit des Scheiterns größer. Aber das gehört dazu. Man macht sich auf, unbekanntes Gebiet zu erforschen und kommt – hoffentlich – mit Erkenntnissen zurück und ist nachher nicht mehr so wie vorher. Das ist sehr schön. Auch weil ich daran glaube, dass ein Theaterabend beim Publikum ähnliches bewirken kann und soll: man ist danach nicht mehr derselbe wie vorher.
Muss man die Odyssee kennen um Euer Stück anschauen zu können?
Markus Steinwender: Nein, aber natürlich ist es hilfreich zu wissen, dass Odysseus der Typ mit dem trojanischen Pferd war. Wobei ja lustiger weise, genau diese Geschichte gar nicht so ganz stimmt, denn die Idee zum hölzernen Pferd kam gar nicht von ihm. Aber er konnte die Idee gut verkaufen. Und sie ging ja auch auf. Wenn man bei Wikipedia die Zusammenfassung liest, hat meinen einen guten Überblick, aber unbedingt nötig ist es nicht. Denn ich glaube, Sehnsucht, Liebe, Hass sind immer verständlich. Und auch bei uns kommen natürlich einige Episoden der Odyssee vor.
Info
Odyssee. Nach Homer. Von Markus Steinwender und dem MAZAB Ensemble.
Ab 4. Mai 2010 im kleinen theater.